“Ich meine, wie verrückt ist das?”

 

Stephan Zagler im Gespräch mit Gernot Zeilinger über Kunst, Filme und Kirche

Stephan, du arbeitest hauptberuflich als Videograph und nebenbei auch als Straßenmusiker. Was begeistert dich an Kunst?

Letzens, als ich auf der Straße gespielt habe, hat ein Mann zu mir gesagt: 

“Herr Zagler, Sie sind die Kriegserklärung an das Elend dieser Generation.” 

Das war vielleicht ein bisschen ein überzogenes Lob. Aber was er gemeint hat, war, dass an diesem sehr geschäftigen Ort in Wien, wo eigentlich alle schauen, dass sie von A nach B kommen und auf ihr Handy starren und mit allen vernetzt und trotzdem alleine sind, ich da mit meinem kleinen Klavier einen Raum geschaffen habe, an dem man etwas Echtes erlebt. Das hat mich zum Nachdenken gebracht.  Da hat jemand das, was ich fühle, wenn ich Kunst mache, in Worte gefasst. Ich glaube, dass dort wo wir Menschen in Kontakt bringen mit dem was schön, wahr und gut ist, wir sie rausreißen können aus dem, was sie vielleicht das Elend ihrer Welt nennen würden. 

Das lässt sich mit wildfremden Leuten als Straßenmusikant machen oder natürlich auch in einem anderen professionellen Setting als Musik- und Videoproduzent.

Die Schönheit, die in der Kunst durchblitzt, hat etwas unglaublich Erfrischendes und Gegengiftiges, wenn man dieses Wort erfinden kann. 

Du bist in einer kirchlich  geprägten Familie groß geworden. Wie hat das Aufwachsen in der christlichen Gemeinschaft dein Verhältnis zur Kunst geprägt?

Ich komme nicht aus einer musikalischen Familie, aber mein Vater hatte viel Liebe zur Sprache. 

Er kann den Faust auswendig und fängt manchmal plötzlich an, ein Gedicht zu zitieren, wenn es zum Thema passt. Er kommt aus einer Welt, wo Dinge auf schöne, kunstvolle Weise zu kommunizieren, kostbar ist. 

Ich habe das Gefühl, dass es zumindest von außen manchmal so wirkt, als macht man in der Kirche überhaupt nichts Tolles, nichts Schönes, nichts Kreatives. Aber wenn man das glaubt, dann macht man die Rechnung ohne Jugendgruppen. Dort musst du unfassbar kreativ sein.

Meinen Beruf als Videograph und Musikproduzent hab ich dort genauso gelernt wie Fotografieren und Grafikdesign, durch Kreatives werden die Jugendlichen mit ins Boot geholt. Es ist ein Rahmen, in dem wir uns ausprobieren können, wenn wir uns gegenseitig vertrauen, ohne uns übereinander lustig zu machen. Wenn du das erste Mal die Musik mitgestaltest und der Song ein bisschen schief ist, reißt dir niemand den Kopf ab.

Das setzt frei, das macht das möglich, dass wir uns künstlerisch ausprobieren und entdecken. Das hat mich schon geprägt: Dass ich in einem Kontext war, wo die Möglichkeiten da waren, kreative Sachen einfach zu machen. 

Im Jahr 2020 haben wir beide Theo-Tektiv gestartet, wo wir als Christen Filme analysieren und im Podcast darüber plaudern. Warum findest du die Beschäftigung mit Filmen wichtig?

Ich habe das Gefühl, dass manchmal Christen vorschnell sehr kritisch gegenüber Filmen sind. Natürlich, es gibt genug Filme, die muss man nicht gesehen haben und die sich nicht mit dem decken, was wir das Evangelium nennen. Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass Künstler ein bisschen die Propheten unserer Zeit sind. 

Wenn man sich mit Kunst jeder Art, und für uns sind das Filme, auseinandersetzt, dann lernt man etwas über unsere Welt zu verstehen und über den Herzschlag, der gerade da ist und den man manchmal nicht so gut in Worte fassen kann.

Auf der anderen Seite habe ich gemerkt, dass an manchen Punkten in meinem Leben, wenn die Antworten meiner Freunde, meiner Seelsorger oder schlauer Bücher nicht gegriffen haben, ein Film in meine Situation gesprochen hat. Plötzlich konnte ich das Gesamtkunstwerk, dass da entsteht, und auch mich selbst ein Stück besser verstehen.

So konnte ich auf eine Art heilen, die glaube ich nicht möglich gewesen wäre, hätte man es einfach nur formell abgehandelt. Kunst hat etwas Einladendes. Sie sagt: „Hier ist diese Welt, möchtest du sie betreten und in dieser Welt lernen und dich entwickeln?“ 

Wenn wir als Christen diese Tür grundsätzlich mal zumachen und sagen: “Naja, das könnte gefährlich werden,” dann verpassen wir manche Einladungen, weil Gott es zumindest bei mir immer wieder geschafft hat, dass er durch die Filme von Nicht-Christen Dinge in mir in Bewegung gesetzt hat, die ich nicht für möglich gehalten hätte. 

Du hast öfters erwähnt, wie Filme und Kunst dich bewegt und verändert haben. Welcher Film hat dich besonders geprägt und beeinflusst? 

Wenig überraschend ist, dass mein Lieblingsfilm Inception ist. Ich hab den Film erst 2019, gesehen gehabt, als ich gerade eine Beziehung, die ich nicht loslassen konnte, verarbeitet habe. Die Dame, die ich davor gedatet hatte, kam immer wieder in meine Gedanken zurück. Es hat sich angefühlt wie ein Gespenst, das mich verfolgt, aber an dem ich sehr hänge. 

Der Rat meiner Freunde hat irgendwie nicht geholfen. Und dann sehe ich diesen Film auf dem Flugzeugbildschirm auf dem Weg nach Kanada. Oberflächlich geht es um einen Spionage- und Agentenfilm, aber unter dieser Oberfläche geht es um einen Mann, der bereut, dass seine Beziehung auseinandergegangen ist und daran zerbricht, bis er irgendwann in Frage stellt, was überhaupt noch echt ist, weil er so an einem Menschen hängt, den es in seinem Leben nicht mehr gibt. 

 

Als ich diesen Film schaute, dachte ich mir: “Das ist unglaublich, das ist eine ganz andere Geschichte, aber das ist die Emotion, die ich fühle.” Und ich sitze im Flugzeug und heule Rotz und Wasser. Ich habe gemerkt: “Wow, hier schafft es ein Regisseur, dass er einen Fremden, den er nie sehen wird, ganz tief bewegt und im Leben weiterbringt.” 

Gott sind keine Grenzen gesetzt. Er kann die Kunst verwenden, um uns zu heilen. Es war ein fünfjähriger Prozess, diese Beziehung zu verarbeiten, aber einer der wichtigsten Momente war, dass ich einen Film im Flugzeug schaue. Ich meine, wie verrückt ist das? 

Du schaffst Kunst in kirchlichen Kontexten und versuchst Künstler in kirchlichen Kontexten zu fördern. Du hast ein Anliegen dafür, dass mehr Schönes in der Kirche passiert. Was kann die Kirche tun, um Künstler und ihre Kunst mehr zu fördern? Und, was hat die Kirche davon?

Ich glaube die Kirche braucht keine Angst vor der Kunst zu haben, weil historisch hatte sie das nicht. Gestern habe ich in einem Marmor-Prunk-Saal in einem Kloster gedreht, der so beeindruckend war, dass man seine Kinnlade wieder vom Boden aufsammeln musste. 

Dort haben Menschen beschlossen, dass das ein Gott geweihter Ort ist, der es wert ist, dass man ihn mit aller Liebe und Kraft schön ausgestalten, damit jeder, der reinkommt, sagt: Es muss etwas Größeres geben als den Menschen. Sonst macht dieser Raum keinen Sinn. Die Gemeinde, in die ich jetzt gehe, der Raum, an dem wir uns am Sonntag treffen, schaut aus wie ein Tagungssaal. Unfassbar hässlich und uninspiriert. Aber die Geschichte zeigt, dass Kunst etwas ganz Wertvolles ist. Schau dir die Bibel an, wie die Stiftshütte und der Tempel waren. 

Was kann die Kirche machen? Ich glaube, sie darf Mut haben, in ihre Vergangenheit zu schauen. Ja, manche Sachen waren nicht ideal. Aber religiös motivierte Kunst hat der Welt Großes gegeben. Denk an den Bach. Denk an den C.S. Lewis. Oder an Der Herr der Ringe. Ich glaube, dass die Kirche vor allem mutig sein darf.

Was kann sie konkret tun? Lasst Leute sich ausprobieren, wo Gaben sichtbar sind, aber vielleicht noch nicht ausgereift. Bringt Menschen zusammen. Macht Projekte, wo Raum für Kreativität ist. Dreht als Gemeinde einen Film, macht einen Outreach, wo kreativ etwas gemacht wird, komponiert einen Song zu einem Thema. Wenn es nichts ist, dann veröffentlicht es halt nicht, es ist ja nichts verloren. Und was hat die Kirche davon? Ich glaube, die Kirche kann in dem die wunderbare Entdeckung machen, dass Leben mit Gott vor allem etwas wirklich Schönes ist. Und, dass diese Schönheit uns heilt und uns inspiriert, weiterzumachen. Dass diese Schönheit ganz tief in uns drinnen diese Sehnsucht stillt und gleichzeitig größer werden lässt, dass wir eines Tages vor einem schönen Gott in einer schönen Herrlichkeit sein werden. Und ehrlich gesagt, ich kann mir kaum etwas Besseres vorstellen, was der Kirche passieren kann.

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