Was bedeutet es, ein Mensch zu sein?

Mickey 17 Filmrezension

Das Theseus-Paradox

Der antike Plutarch erzählt von dem Schiff von Theseus, dass nach seiner erfolgreichen Rückkehr von einer Reise von den Bewohnern von Athen aufbewahrt wurde und ausgestellt wurde. Damit es erhalten blieb, ersetzte man Stück für Stück einzelne Teile. Nach vielen Jahren war zwar das Schiff noch da war, aber alle Teile waren ersetzt worden. Nun stritten die Bewohner Athens: 

Ist es  wirklich noch das Schiff von Theseus – oder ein Neues?

Philosophen haben diese Geschichte genutzt und ausgebaut, um ein philosophisches Problem zu veranschaulichen.

Was wäre zum Beispiel, wenn jemand die alten Teile, die ausgetauscht worden waren, gekauft, gesammelt und repariert hätte und dann nach dem Vorbild des aufbewahrten Theseus-Schiff nachbaut hätte? Dann gäbe es zwei Schiffe:

  • Eines, das zwar als Modell auf Theseus zurückgeht, aber nicht in den Einzelteilen (T1).
  • Eines, wo das Modell nicht auf Theseus zurückgeht, aber dafür alle Einzelteile (T2)

Welches dieser Schiffe wäre dann das echte Schiff von Theseus?

  • Option 1: T1, dessen Geschichte auf das Schiff von Thesus zurückgeht, ist das Original.
  • Option 2: T2, dessen Einzelteile auf das Schiff von Thesus zurückgehen, ist das Original.
  • Option 3: Beide Schiffe sind das Schiff von Theseus.
  • Option 4: Keines der beiden Schiffe ist das Schiff von Theseus.

Diese Frage ist mehr als eine spitzfindige philosophische Übung, sondern greift eine Frage auf, die gerade aufgrund des wissenschaftlichen Fortschritts spannender als jemals zuvor ist:

Was bedeutet es, dass ich ICH bin?

Mickey7: Ein Mensch auf der Suche nach Identität

Der Science-Fiction Autor Edward Ashton griff dieses Thema in seinem Roman Mickey7 auf, der 2022 erschien. In der fernen Zukunft sind Pioniere in einem Raumschiff auf dem Weg, einen neuen Planeten zu besiedeln. Die meisten sind Forscher, Ingenieure und Wissenschaftler. Aber eine Rolle geht an den Historiker Mickey Barnes, der als Expandable arbeitet.

Er muss allelebensgefährlichen Aufgaben erfüllen, weil Expandables „Menschen“ sind, die nachgedruckt werden können. Sie laden ihre Erinnerungen in eine Datenbank hoch und werden dann, wenn sie sterben, mit all ihrer Erinnerung und Geschichte intakt, neu ausgedruckt. 

Auf eine gewisse Weise lebt Mickey ewig. Aber dann passiert ein Missgeschick: Mickey 8 wird gedruckt, während Mickey 7 seinen Unfall überlebt hat. Die beiden versuchen den Vorfall zu verheimlichen, weil Doppelte verboten sind. Dadurch diskutiert der Film das Theseus-Paradox:

Sind sie dieselbe Person, weil sie die gleiche Erinnerung haben oder sind sie unterschiedliche Menschen? 

Wer ist der echte Mickey von den beiden?

Wenn es eine Seele gibt: Welcher der beiden hätte sie?

Mickey ist in einer Beziehung: Sind sie jetzt beide mit derselben Person in Beziehung? 

Was wäre, wenn einer von den beiden stirbt und keiner nachgedruckt wird, weil es den anderen immer noch gibt. Wäre dann doch ein Teil von Mickey endgültig gestorben?

 

Mickey 17: Verliert das Menschenleben ohne Tod an Wert?

Spannende Fragen, die das Potenzial für einen genialen Film schaffen. Deswegen adaptierte der großartige Regisseur Bong Joon Ho (Oscar 2020 für Parasite) die Geschichte unter dem Titel Mickey 17 als Hollywood Blockbuster. Dazu übernahm er die Kerngeschichte und baute sie aus. Er änderte die Vorgeschichte und zeigt nun, welche ökonomischen Umstände jemanden dazu führen, sich für einen solchen Job zu melden. Er hebt die Zahl der Mickeys, um die Frage zu stellen: 

Wäre es gerechtfertigt einen solchen Menschen, der nicht endgültig sterben kann, für wissenschaftliche Versuche zu verwenden, wenn er dadurch finanziell profitiert?

Dadurch wird eine kritische Frage an die Wissenschaft und das Wirtschaftssystem gestellt: Was ist überhaupt der Wert eines Menschenlebens?

Diese Frage baut Bong Joon Ho auch zu einer Religionskritik aus: Verliert das einzelne, begrenzte Leben an Wert, wenn der Tod nicht endgültig ist, also wenn man vielleicht immer und immer wieder neugedruckt werden kann?

In einer denkwürdigen Szene wird die moderne Wohlfühltheologie kritisiert. Eine junge Frau verliert ihre beste Freundin und klagt ihr Leid in einem Gebet. 

Aber der religiöse Anführer unterbricht diesen Moment der Trauer und stimmt stattdessen einen Lobpreis an. Als Christ fand ich diese Szene wert, tiefer durchdacht zu werden. 

Inwiefern passt die moderne „happy-clappy“ Lobpreiskultur zu dem Wehklagen der Psalmen oder dem Gedanken des Kohelet? Er schreibt:

 “Das Herz der Weisen ist dort, wo man trauert, aber das Herz der Toren dort, wo man sich freut.” (Prediger 7, 4)

Wie können Christen heute, das tiefe Leid der Menschen und die Gebrochenheit der Welt ernst  nehmen – und aus dieser Erfahrung die Größe der Hoffnung des Evangeliums verkündigen?

Aber der Film schießt sich letztendlich selbst in den Fuß: Statt sich auf diese spannenden Fragen zu fokussieren, werden immer mehr Themen angeschnitten, ohne sie zu einer Geschichte zusammenzubinden. Der Anführer der Raummission wird zu einem verrückten Diktator mit übertriebenen Anspielungen an Donald Trump, was von der eigentlichen Geschichte wegnimmt. Spätestens ab der Mitte kippt der Film dann endgültig und vergisst auf sein eigentliches Thema, ohne sich auf ein anderes Thema zu fokussieren. Er ist trotzdem unterhaltsam, aber übrig bleiben nur halbfertig durchdachte Fragen ohne eine zusammenhängende Geschichte.

P.S.: Das Christentum hat eine Antwort auf das Theseus-Problem: Durch die leibliche Auferstehung, wenn Jesus wiederkommt, werden wir leiblich und erneuert ewig Leben können – eine Ewigkeit, die jetzt schon durch den Glauben angebrochen ist.

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